Ich habe Ubuntu 7.10 bei einem – ich nenne ihn den Mitte-50-jährigen, männlichen K. – installiert, der zwar Microsoft-versessen ist, trotzdem aber bereit ist, Neues auszuprobieren, um seine persönlichen Daten am Rechner besser zu schützen und der Anti-Virenscanner- und Firewall-Hölle von Windows zu entkommen. Ich habe bei seinem alten Rechner zeitgerecht Upgrades auf Ubuntu 8.04 und 8.10 eingespielt, den Drucker installiert und vieles mehr. Die Erfahrungen damit waren in Summe aber – vorsichtig ausgedrückt – zwiespältig, und so manches Ereignis wird dem noch schlechten Ruf von Open-Source bei „Laien“ gerecht.
Die folgende Auflistung ist sicher unvollständig, aber sie gibt ein Bild davon, was sich alles verbessern sollte, bis auch Otto-Normalverbraucher ohne größere Schwierigkeiten von Windows auf Ubuntu oder Linux im Allgemeinen umsteigen kann.
- Probleme mit alter Hardware
- Bei Ubuntu 7.10 gab es noch keine Probleme mit der alten Hardware des Rechners (PC), jedoch nach dem Upgrade auf 8.04 und später auf 8.10 fuhr Ubuntu mit den neuen Kerneln nicht mehr hoch. Ein Laie wäre vollkommen aufgeschmissen gewesen. Durch intensive Recherche im Internet fand ich die richtigen Parameter, die in die GRUB-Datei
menu.lst
geschrieben werden mussten (quiet
löschen undgeneric.irgendwas
hinzufügen) und das Problem behoben. Es stimmt also nicht, dass Linux bei alten Rechnern besonders gut zum Einsatz kommen kann, wenn Windows angeblich schon nicht mehr (gut) funktioniert. (Die gleiche Erfahrung habe ich auch auf einem anderen alten Rechner gemacht, der aus dem Ende der 1990er Jahre stammt, auf dem ich Ubuntu Server 8.04 installierte. Ich musste erste 7.10 installieren, um dann perapt-get
auf 8.04 migrieren zu können.) - Womit kann man ohne grafische Oberfläche etwas ändern?
- Bei dieser Reparaturarbeit war K. negativ überrascht von der vielen Arbeit als Root (Administrator) mit der Konsole und mit Texteditoren (Gedit unter GNOME und Nano an der Konsole), ohne die die Änderungen in der
menu.lst
nicht möglich gewesen wären (außer man hat bestimmte Nautilus-Actions installiert, aber die muss man ja auch erst mal finden und installieren). Ubuntu fehlt die Möglichkeit, Einstellungen in GRUB über die grafische Oberfläche zu ändern. Und zwar per Voreinstellung, ohne dass man erst über die Paketverwaltung danach suchen muss. Dazu gehört das Hinzufügen, Löschen und Neuordnen der Kernel- und Betriebssystem-Einträge, das Verändern der Boot-Parameter und das Ändern des Aussehens des Boot-Menüs. - Probleme mit dem Hinzufügen neuer Partitionen
- Weiters fehlt ein Programm mit einer grafischen Oberfläche zum Anpassen der Datei fstab. Wie soll jemand händisch ohne intensives Hineinlesen in die Materie eine NTFS-Partition einbinden oder eine zusätzliche ext3-Partition? Zum Glück gibt es seit Ubuntu 8.10 das Programm Disk Manager in den Paketquellen. Trotzdem wird es nicht offiziell von Canonical unterstützt und muss nachträglich installiert werden. Außerdem stellt sich die Frage, wie lang das Programm noch funktionieren wird, da der Autor die Arbeit daran eingestellt hat!
- Wie partitioniere ich meine Festplatten?
- Neben dem Einbinden neuer Partitionen/Festplatten fehlt auch ein Partitionierungswerkzeug in der Standardkonfiguration von Ubuntu. GParted kann zwar nachinstalliert werden, neue Nutzer müssen es aber erst finden.
- Probleme mit fehlenden Sprachdateien
- Nachdem die Installation von Ubuntu 7.10 abgeschlossen war, fehlten ein paar Sprachdateien und einige Teile des Systems erschienen noch in englischer Sprache. Für jemanden mit schlechten Englischkenntnissen ist das fatal. Dass es in der Systemverwaltung einen Punkt Spracheinstellungen gibt, wo man das nachträglich beheben kann, ist sicher nicht allseits bekannt. Unter Windows ist das System ja immer deutsch (ja, da gibt’s nur Deutsch bei der Installations-CD, aber das ist für den Endnutzer ja irrelevant). Wieso ist es unter Ubuntu (teilweise) englisch, fragt sich der Ubuntu-Neuling ohne perfekte Englischkenntnisse? Auch nach dem Upgrade auf 8.04 gab es ein paar fehlende Sprachdateien, die händisch nachinstalliert werden mussten. Von diesen Installationsschwierigkeiten abgesehen ist die Übersetzung von Ubuntu sowieso noch sehr unvollständig, besonders bei den Hilfedateien und weniger verbreiteten Programmen. Auf Ubuntuusers.de gab es vor einer Weile diesbezüglich einen Aufruf zu mehr freiwilliger Mitarbeit.
- Probleme mit der Einstellung der Schriftgröße
- Da man mit Mitte 50 nicht mehr so gute Augen hat, musste die Schriftgröße des Systems angepasst werden. Für GNOME ist das kein Problem: rechte Maustaste auf den Desktop und Schriftgrößen ändern. Kniffliger wird es, wenn man KDE/Qt-Programme innerhalb von GNOME/GTK+ nutzt. Die übernehmen nicht die GNOME/GTK+-Einstellung, sondern benötigen ein eigenes Programm. Bis man das in den Paketquellen und dann noch im Menü unter Sonstiges gefunden hat, dauert es eine Weile. Sehr nervenaufreibend. Mit Qt4 hat sich anscheinend gebessert, dass die Qt-Font-Einstellungen in der Systemverwaltung zu finden sind. Besser wäre aber, jedes Programm übernimmt die Schrifteinstellungen seiner Desktop-Umgebung. Damit erspart man sich negative Erfahrungen mit dem freien Betriebssystem und hebt die Benutzerfreundlichkeit.
Zu guter letzt ist das zweite Problem WINE: Man kann dort zwar auch die Schriftgröße ändern, aber wird die Schrift zu groß, wird immer mehr von den Buchstaben von unten abgeschnitten und irgendwann kann man gar nichts mehr lesen. Argh! Auch WINE-Anwendungen sollten die Schriftgröße des Systems automatisch übernehmen.
Update: Zu noch Mal guter letzt fand ich noch ein weiteres Problemfeld mit Schriftgröße: Java-Programme. Auch diese passen sich nicht den Desktop-Einstellungen an und erscheinen bei K. viel zu klein. - Probleme mit dem Drucker
- Bis vor kurzem hing ein Tintenstrahldrucker am Rechner, der von Ubuntu automatisch erkannt und dessen Treiber richtig eingestellt wurde. Das Drucken war kein Problem. Der neu gekaufte Samsung-Farblaserdrucker wurde zwar auch vom System automatisch erkannt und ein Treiber installiert, aber bislang druckte der Drucker nur Testseiten und sonst nichts anderes. Glücklicherweise gab es auf der mit dem Drucker mitgelieferten CD-ROM von Samsung Linux-Treiber! Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Gut. Aber! Die Installation war vollständig auf englisch beschrieben und lief auch vollständig in englischer Sprache ab. Außerdem war die Installation nur über die Konsole ohne grafische Oberfläche möglich und man musste vorher nachsehen, ob bestimmte Bibliotheken installiert waren. Ein einfacher Doppelklick auf die
.sh
-Dateien funktionierte nicht. Man fühlte sich in DOS-Zeiten zurückgesetzt. Für einen Umsteiger von Windows ist der Linux-Treiber also vollkommen wertlos. Dieses Manko ist zwar vornehmlich dem Gerätehersteller anzukreiden, trotzdem sollte man seitens der Distributoren denen endlich beibringen, dass nicht nur Konsolen-Hacker mit Linux arbeiten (wollen), sondern auch ganz normale Endanwender ohne Shell– und Englisch-Kenntnisse. - Probleme mit Orca und der Bildschirmlupe
- Weil nicht jede Schrift (siehe vorheriger Punkt mit Schriftgröße, GTK+/Qt und WINE) gänzlich leserlich eingestellt werden konnte, wollten wir Orca ausprobieren. Orca ist ein Screenreader-Programm zum Vorlesen von angezeigten Texten und hat auch eine Bildschirmlupe im Gepäck. Leider ging erstmal beim Aufruf von Orca über das Menü gar nichts; und das, obwohl es bereits vorinstalliert war. Erst über die Konsole präsentierte sich eine Liste von Fragen, die Orca dem Benutzer stellte, auch wenn er von dem Gefragten keinerlei Ahnung hatte. Konsole + viele Fragen: eindeutig durchgefallen bei K. Wieso erscheint das nicht als grafische Oberfläche beim ersten Programmstart mit genauer Erklärung der Einstellungsmöglichkeiten oder gar vorausgefüllten Einstellungen? Auch weiß erstmal niemand, dass er zuerst die Konsole starten und dann händisch
orca
eingeben muss.
Danach gab es eine weitere böse Überraschung: Die Bildschirmlupe ist total für die Katz! Die Lupe war keine wie aus Windows bekannt, die man hin- und herschieben kann, sondern der gesamte Bildschirm wurde von einer vierfachen(!) Vergrößerung des Desktops eingenommen. Das war keine Lupe, das war ein Blick durch ein Fernrohr! Noch dazu ist die Handhabung mit Tastatur und Maus eine Katastrophe und das Einstellen einer nur 1,5-fachen Vergrößerung ein mittelgroßes Abenteuer. So kann man nicht effektiv arbeiten. Die Lupe sollte ein Hilfsmittel sein, kein Angst einflößendes Monstrum. Fazit: Die Lupe von Orca ist unhandlich und unnütz.
Eigentlich wollte ich K. live davon überzeugen, dass Linux und Ubuntu im Besonderen ein benutzerfreundlicher Ersatz für sein Windows XP darstellt, bei dem die Gefahr von Viren und anderen Systemangriffen minimal ist im Vergleich zum bisherigen System. Außer dass Software von Computer-BILD und andere EXE-Dateien und Treiber unter Ubuntu nicht mehr (oder mit WINE meistens nicht mehr) laufen, gibt es für die meisten Programme von Normalanwendern freie Pendants zu Windows-Programmen. Es fehlt somit nichts, wenn man sich auf die Umstellung auf die Linux-Programme einlässt.
Leider war der oben aufgelistete Erfahrungsschatz ein Schlag in die Magengrube einer Umstellung auf Ubuntu. Vielleicht kein endgültiger, aber doch ein schwerer Rückschlag. Und so oder ähnlich wird es sicher unzähligen Menschen gehen, die Ubuntu oder andere Distributionen ausprobieren und dann allein gelassen nie wieder ein Linux ausprobieren wegen ihrer schlechten Erfahrungen.
Schade eigentlich. Denn nur mit Reden über die Möglichkeiten freier Software, freien Wissens(-austausches) und unendlicher Möglichkeiten wird man niemanden von der Closed-Source-Welt wegbewegen können. Das können nur positive Erfahrungen in der Praxis.
7 Kommentare
1. Thomas schrieb am 30th Dezember 2008 um 13:27 :
Auch wenn ich ein Windows-Fan bin und seit Vista einiger deiner Argumente gegen Windows in diesem Text nicht nachvollziehen kann, finde ich den Artikel sehr gelungen. Persönlich habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Praxis hat mich zu einer klaren Entscheidung gegen Linux gebracht und aktuelle Windows-Versionen beweisen mir, dass dies für mich die richtige Entscheidung war.
2. flo schrieb am 1st Januar 2009 um 19:07 :
Ich kann nur sagen, dass ich erst mal programmieren lernen musste um Linux bedienen zu können (ist wirklich so und kein Scherz!) …
Ich rate inzwischen jedem Laien von Linux etc. ab obwohl es mein primäres OS ist. Ich glaube kaum das es je wirklich „Massentauglich“ wird … Leider.
3. gunny26 schrieb am 5th Januar 2009 um 12:30 :
Ich denke Linux hat seine Berechtigung !
Die einzelnen Teile sind teilweise den closed source Varianten überlegen, nur das gesamthafte Zusammenspiel klappt nicht so wie bei Windows.
Dort sind die einzelnen Komponenten aufeinander abgestimmt und ergeben ein Ganzes. Bei Linux gibt es für jede Funktion/Aufgabe teilweise viele Alternativen, die einen „einfachen User“ überfordern.
Um Linux/GNU Massentauglich zu machen muss für den Endanwender die Vielfalt verringert, und die verbleibenden Komponeten besser kombiniert werden.
Der Endanweder will wirklich nicht programmieren lernen, und die Console ist einfach eine Zumutung für einen „normalen“ Windows User.
Ich selbst arbeite gerne mit Linux auf allen Plattformen, es ist auch mein primäres Betriebssystem, dennoch kann ich die Kritik der Windows User nachvollziehen.
4. Plandenvas schrieb am 5th Januar 2009 um 15:15 :
Ich bin seit ca. 2 Jahren Linux-User (Ubuntu). Mein Entschluß diesen Schritt zu tun machten diverse Umstände zwingend notwendig,da ich sehr oft vor meinem XP-Rechner saß und dubiose Meldungen auftauchten,Exe-Dateien als Viren erkannt wurden,Brenner nicht mehr im Arbeitsplatz geführt wurden,etc.
Diesen Schritt habe ich dato nicht bereut,da meine beiden Rechner (Laptop Acer 3628; Desktop-Pc von One.de mit Xp und Ubuntu) seitdem ohne Probleme laufen. Bei meinem Laptop bestand von Anfang an (mit XP) das Problem,daß die Tastatur nicht immer korrekt funktionierte. Auch eine Formatierung mit anschließender Neuinstallation brachte nichts. Laut Service-Techniker sei kein Fehler festzustellen (der hatte ihn 3-mal). Seit Ubuntu tritt dieser Fehler seltsamerweise nicht mehr auf.
Nun muß man natürlich sagen,daß die Bedienung nicht auf Windows-Niveau is (ich mußte keinen Programmierkurs machen sondern mich nur damit beschäftigen,wobei einem ein wenig technisches Wissen und das Ubuntuuser-Forum mir dabei sehr geholfen haben), aber die Performance und Stabilität der beiden machen diesen Umstand mehr als wett.
Ich empfehle jedem,der nicht unbedingt Windowsprogramme nutzen muß,einen Versuch,welcher mit relativ großem Zeitaufwand verbunden ist (spätestens da springen die meisten wieder ab),mit einer Linux-Distribution.
Erfolg hatte ich in meinem Bekanntenkreis bei einem…
Viele Grüße
5. Thomas S schrieb am 6th Januar 2009 um 00:50 :
Danke für eure Kommentare.
Ich selbst nutze Linux/Ubuntu zwar auch erst etwas mehr als ein Jahr, traue mir nach dem Lesen diverser Wikis, Artikel und Bücher aber bereits zu, in den Tiefen eines Linux-System rumzudoktorn, einen Linux-Server aufzusetzen und Probleme selbst zu lösen, anstatt ein Forum damit zu belasten. Leider nimmt sich nur eine sehr kleine Minderheit die Zeit, die ich mir genommen habe, um mit Linux wie mit/besser als mit Windows umgehen zu können. An diese Nutzer dachte ich beim Schreiben des Artikels. Leider denken die meisten Programmierer von Linux-Programmen/-Distributionen aus diversen Gründen nicht (vollständig) an diese Gruppe. Sie bringt ja auch kein Feedback …
6. ESTARTU schrieb am 8th Januar 2009 um 22:57 :
Ich hatte Ubuntu mal ausprobiert. Ich brauchte eine Live-Version um meine root-Partition meiner SuSE-Linux-Installation zu vergrößern. Der erste Start klappte einwandfrei. Dann GParted gestartet, root-Partition vergrößert -> Fehlermeldung. Partition wurde nicht vergrößert, der Eintrag in der Partitionstabelle wurde aber auf die neue Größe gesetzt. Zur Sicherheit habe ich dann erstmal meine SuSE-Installation gestartet. Funktionierte noch. Puh. Bis auf den falschen Partitionstabelleeintrag ist nichts passiert. Aber den leeren Platz konnte nicht nutzen. Wollte es dann mit GParted in Ubuntu reparieren und nu kommts: Beim Booten der Live-CD wollte Ubuntu von mir Benutzername und Passwort wissen. In Gnome kam ich gar nicht mehr rein. Selbst diverse Neustarts brachten keine Besserung. Blieb mir letztendlich, um den gesamten freien Platz auf der HD zu nutzen, nur übrig mein SuSE-Linux neu zu installieren. Seit dem hat Ubuntu bei mir verschissen.
7. Thomas S schrieb am 10th Januar 2009 um 17:53 :
Das ist wirklich Pech, ESTARTU. Aber wegen einem Rückschlag sollte man nicht auf das Ganze schließen.
Ich nutze die Ubuntu-Live-CDs auch immer zum Partitionieren (meist von bereits aufgesetzten Windows-PCs in der Arbeit). Bei mir hat das bisher immer funktioniert, ohne etwas kaputt zu machen – wenn man vorher die NTFS-Partitionen vorsichtshalber defragmentiert.
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